Kraftwerk schufen im Wesentlichen die klangliche Blaupause, aus der die britische New Romantic-Bewegung der 80er-Jahre und der spätere Techno-Pop seine Inspiration und Innovation herauszog. Und Kraftwerk lieferten obendrein mit der harten Drumcomputer-Rhythmik alle notwendigen Grundstrukturen für einen Großteil des Hip-Hop.

Eindrucksvoll in seiner Einfachheit und hypnotisch in seiner Konstruktion, lieferten Kraftwerk 1974 mit Autobahn einen Song ab, der die Wiederholung zum Stilmittel erhob und typisch für viele Kraftwerk-Stücke werden sollte.

Bei Radio-Aktivität von 1975 wird die zielgerichtete Selbstbeschränkung auf alles Elektronische in der Musik noch deutlicher. Zu dieser Zeit formiert sich auch der eigentliche Bandkern um die Gründungsmitglieder Ralf Hütter und Florian Schneider. Mit Hütter und Schneider als Hauptideengeber, Karl Bartos,  Wolfgang Flür als Schlagzeuger und Emil Schult als Künstler/Texter.

Der roboterhafte "Trans Europa Express" von 1977 stellt die Maschinenrhythmik noch weiter in den Vordergrund. Rhythmen und Themen wiederholen sich auf diesem Album immer wieder und der emotionslose Gesang unterstreicht die Entmenschlichung, die sich auch durch die Texte und die saubere Produktion zieht.

"Die Mensch Maschine" perfektioniert 1987 die musikalische Entwicklung von Trans-Europa Express noch weiter, wobei auch der Vocoder-Gesang mehr und mehr zum Einsatz kommt, vor allem auf dem Titeltrack und bei "Wir sind die Roboter". Trotz der Science-Fiction-Thematik und der repetitiven musikalischen Auswüchse, besitzt das Album viele einfallsreiche und eingängige Kompositionen (z.B. "Das Model") und eine unheimliche analoge Wärme.

"Computerwelt" erschien 1981 nach einer längeren Pause und katapultierte Kraftwerk in eine Welt, die ihre textlichen und musikalischen Visionen weitgehend angenommen und bestätigt hatte. Der herrschende Zeitgeist hatte die Wegbereiter und Vorreiter endlich eingeholt. Kraftwerk waren somit auf dem Höhepunkt ihrer Popularität und auf dem Weg zur Legende. Der Fortschritt in der Synthesizer- und Sequenzertechnik erweiterten die musikalischen Möglichkeiten ("Nummern", Heimcomputer", "It's more fun to compute"), aber ansonsten blieben Kraftwerk ihrem Stil weitgehend treu. Lediglich die thematischen Inhalte der Texte verlagerten sich von Science-Fiction in Richtung Computer in der heutigen Lebenswelt.


Mit dem lang ersehnten "Electric Cafe" gaben Kraftwerk 1986 eine Art von Comeback. Da die Zeit aber auch an Kraftwerk nicht spurlos vorbeigegangen ist und sich die elektronische Musik und Technik immer schneller weiterentwickelte, muss auch "Electric Cafe" dem Fortschritt einiges an Tribut zollen. Die nahezu austauschbaren Songs "Techno Pop", "Boing Boom Tschak" und "Musique Non-Stop" sind mehr oder weniger reine Percussion-Tracks, bei denen ein wenig computergenerierter Sprechgesang (als Ersatz für die veraltete Vocoder-Technik?!), synthetische Geräusche und Effekte in den Mix geworfen werden. Auf der B-Seite befinden sich dann drei konventionelle Songs, mit echten Melodien, Gesang und Texten (z.B. Karl Bartos' "Der Telefon-Anruf") verwenden. Während die zweite Seite durchweg hörbarer Synthie-Pop ist, so dürften dem echten Kraftwerk-Fan die früheren bahnbrechenden Ideen und Inhalte jedoch fehlen.

Im Lauf der Jahre wurden die Vordenker in Sachen synthetische Klangerzeugung und elektronische Musik von der allgegenwärtigen Pop-Realität eingeholt, so dass sich Kraftwerk auf sporadische  Konzerte beschränken und den wachsenden Kraftwerk-Kult als lebende Legenden mit ansehen konnten. Die pressescheuen und zurückgezogen lebenden Gründungsmitglieder Ralf Hütter und Florian Schneider  veröffentlichten jedoch in den nächsten Jahren keine neuen Studioaufnahmen, bis sie 1999 den Auftrag für das "Expo 2000"-Jingle erhielten. Ursprünglich entwickelten sie für die damalige Weltausstellung in Hannover nur das kurze Jingle, welches aus einem computergenerierten Gesang bzw. einer Vocoder-Stimme in sechs Sprachen bestand. Erst danach erweiterten Kraftwerk das Jingle zu einem vollwertigen neuen Song. Auf der "Tour de France Soundtracks" von 2003, ihrem ersten Album mit neuem Material seit "Electric Cafe", greift Kraftwerk das Thema (und das Artwork) ihrer 1983er Non-Album-Single "Tour de France" wieder auf. Neben einer Neuaufnahme des Originalsongs von 1983 fügen Kraftwerk bei einigen Tracks wie z.B. "Aéro Dynamik" und "Titanium" ein paar moderne Techno-Elemente hinzu, bleiben ihrem hergebrachten Stil und ihrem Gesamtkonzept aber zumeist treu.  [PoprockUnion 12/2015]


Bandmitglieder:  Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos, Wolfgang Flür, Emil Schult

Musikstil:  Synthie-Pop, Elektro, Techno, New Age, Industrial

Vergleichbare Bands:  Fad Gadget, Die Krupps , Telex, Space, Jean-Michel Jarre, Tangerine Dream, Kreidler


Ausgewählte Diskographie:

Ralf und Florian, 1973
Autobahn, 1974
Radio-Aktivität, 1975
Trans Europa Express, 1977
Die Mensch Maschine, 1978
Computerwelt, 1981
Electric Cafe, 1986
The Mix, 1991


Song-Empfehlungen:

1. Heimcomputer
2. Schaufensterpuppen
3. Trans Europa Express
4. Tour de France
5. Computerliebe
6. Radio-Aktivität
7. Das Model
8. Europe Endless
9. It's more fun to compute

 

 

  • Eels

    Zu Beginn ihrer Karriere machte Ober-Aal "E" mit seinen Eels einen feinen, ruhigen Gitarren-Pop. Danach wurde es poppig-bedrückend, später etwas niedlich-sarkastisch und dann krautrockig. Insgesamt ist Mastermind "E" also ein recht vielseitiger Kautz, der es immer versteht seine momentane Gefühlslage in den Songs widerzuspiegeln. Deshalb muß man die Eels eher als Gesamtkunstwerk betrachten und mögen, ansonsten wird einem diese musikalische Selbsthypnose insgesamt verschroben und richtungslos vorkommen.

     
  • Kitty Solaris

    Mit "My Home Is My Disco" legt Kitty Solaris aka Kirsten Hahn bereits ihr zweites Album auf die Küchentische der Nation. Locker aus dem Handgelenk gelingt ihr ein schräger Wurf an geneigter Ebene mit Punktlandung im Indie-Folk-Pop. Als Inga und Annette Humpe in stimmlicher Personalunion lustwandelt Kitty Solaris gekonnt durch verträumte und melancholische Indie-Klangskulpturen. Seltener werden auch kraut-rockige Saiten angeschlagen, was der allgemeinen Indiepop-Ästhetik aber keinen Abbruch tut, schließlich will Kitty ja auch ihre Heimdisco anpreisen.

     
  • Helium

    Im Laufe der Zeit haben Helium ihre wütenden und progressiven Gitarrenausbrüche immer weiter zurückgefahren, wodurch mehr Raum für verspieltere Arrangements und eine reichhaltigere Instrumentierung geschaffen wurde. Diese Hinwendung zu eingängigeren und abwechslungsreicheren Songs wird besonders auf dem bislang letzten Album "The Magic City" (1997) deutlich. Danach wurden Helium erst einmal auf Eis gelegt, da sich Mary Timony ihrem eigenen Album widmete (The Golden Dove, 2002, ebenfalls auf Matador).