Darf man als unabhängige Indie-Musik-Seite eigentlich am 07.11.2007 darüber berichten, daß Shy Guy At The Show am 10.11.2007 den local heroes -Bandcontest in Magdeburg gewonnen haben werden? Oder verbietet es der Anstand, zumal wir keine andere Newcomerband dieses Bundesfinales kennen!? Möglicherweise betreiben wir mit solchen Äußerungen sogar Wettbewerbsverzerrung, da wir ja hier bewußt die Meinungsführer, Gatekeeper und ganz allgemein, die Musikkenner mit hohem "Involvement" ansprechen. Objektiv betrachtet gibt es davon aber auch nicht allzu viele, also lehnen wir uns nur dieses eine Mal ganz weit aus dem Fenster.

Sonst hätten wir diesen Review nämlich völlig anders beginnen müssen. Ungefähr so: Anfang November lag unvermittelt " the elliptic ep " von Shy Guy At The Show in unserem, d.h. meinem, Briefkasten. Da unverhofft oft kommt, landete die CD erstmal auf dem sogenannten Kaltaquise-Stapel, mit Musik unbekannter Herkunft und Qualität. Soweit ein völlig normaler Vorgang glaubte ich, bis eine monatelang verschollen geglaubte Freundin vorbei schaute und scheinheilig fragte, ob sie vielleicht ihr Passfoto in meinem Scanner vergessen hätte. Wie absurd, dachte ich noch, aber da hatte sie auch schon besagten Kaltaquise-Stapel zum Einsturz gebracht, was mich zu einer Taschenlampe hinter Schreibtisch, kaum Sichtkontakt-Expedition veranlasste. Nach einer langen halben Stunde waren sämtliche Zettel und CDs wiedergefunden, aber in der äußersten Ecke konnte man noch schemenhaft eine verstaubte CD-Hülle erspähen. Ich vermutete, daß dies möglicherweise meine vermisste Tuxedomoon "No Tears"-Maxi sein könnte. Mich packte der Eifer, einige Rettungsversuche misslangen, bis endlich der Staubsauger jene CD erfolgreich ansaugen konnte. Und dann? Dann hatte ich "the elliptic ep" von Shy Guy At The Show in der Hand, legte diese daraufhin in meinen CD-Player und wußte sofort, daß hier eine dringende Rezension von mir gefordert wird. Seid ehrlich, so kann doch kein ernsthafter Review beginnen? Deswegen haben wir Shy Guy At The Show kurzerhand zu Siegern bestimmt, denn die sechs Karlsruher besitzen Durchsetzungsvermögen, sie drängen sich quasi auf, das habe ich ja bereits ausführlichst geschildert. Und wenn dies wirklich alles gewesen wäre, dann wäre es schon mehr als ausreichend. Trotzdem haben SGATS noch Zeit gefunden das New Bands Festival 2006 in Karlsruhe und das Newcomerfestival 2006/2007 in Heidelberg zu gewinnen. Wer dennoch Fragen zur musikalischen Ausrichtung und Qualität hat, dem sei gesagt, daß sich Shy Guy At The Show im Bereich zwischen Gothic-Rock bzw. Dark-Wave bewegt. Die Band klingt insgesamt sehr erwachsen, die Arrangements sind komplex und produktionstechnisch ausgefeilt. Die (tiefe) stimmliche Qualität und Ausdruckskraft von Sänger Sebastian Emling wird besonders Dark Wave -Anhänger erfreuen. Beim ersten Song auf dieser EP " Ghosts " mußte ich spontan an Alexander Veljanov von Deine Lakaien denken. Im Verlauf der CD relativiert sich dieser Eindruck jedoch, denn " What's Left Of Jean " erinnert beispielsweise eher an The National und " Tiny Pieces " könnte auch von den Editors feat. Serj Tankian (SOAD) sein. Insgesamt eine EP die große Schatten vorauswirft, womöglich auf ein noch besseres Album und einen Triumph beim eingangs erwähnten Bandcontest. Und falls nicht, dann wisst Ihr zumindest was Ihr von uns, der Band, oder von diesem "Battle of the Bands" zu halten habt...

[PoprockUnion 11/2007]


Bandmitglieder:  Sebastian Emling (vocals), David Emling (guitar), Boris Hoffmann (guitar, bluesharp), Sebastian Hellmann (drums, vocals), Jonas Schira (synths, organ)

Musikstil:  New Wave, Gothic-Rock

Vergleichbare Bands:  Editors , Interpol , The Chameleons, Bauhaus , The Departure , The Strokes


Ausgewählte Diskographie:

affection (the sequence of events) (LP, 2006) 
elliptic (LP, 2007)


Song-Empfehlungen:

1. Ghosts  
2. What's Left Of Jean  
3. Tiny Pieces  
4. Solidarity  
5. Close

  • Idlewild

    Seit ihren Anfängen entfernen sich Idlewild stetig von ihren rohen Punk-Ursprüngen. Mittlerweile sind die Schotten bei Poprock bzw. Powerpop der intelligenteren Machart angelangt und da scheinen sie auch sehr gut aufgehoben zu sein. Große Hymnen schütteln sie mit einer Leichtigkeit aus dem scheinbar reichhaltig gefüllten Hut, ohne jemals zu sehr in Richtung Kitsch abzudriften.

     
  • Dead Or Alive

    Tanzbaren, eingängigen Plastik-Pop ohne jegliches Format hatten sich Dead or Alive gegen Mitte der 80er-Jahre auf die Fahne geschrieben. Nachdem sie dafür dann auch noch Stock/Aitken/Waterman als Produzenten verpflichteten, sahen die Kritiker die Band lieber tot als lebendig. Dabei hatte die Band zu Beginn der 80er noch als Gothic-Rock-Band angefangen, bei der für kurze Zeit auch Wayne Hussey (Sisters Of Mercy, The Mission) aktiv war. Ihr größter Hit bzw. das One-Hit-Wonder der Band war die Single "You Spin Me Round (Like a Record)". Damit begann jedoch der Siegeszug des Produzenten-Pop von SAW.

     
  • Doves

    Die englische Musikpresse ist ja dafür bekannt, daß man gerne mal bislang relativ unbekannte Künstler über den grünen Klee lobt um einen neuen Hype loszutreten. So geschehen auch mit den Doves aus Manchester und ihrem Album "The Last Broadcast", allerdings nicht zu Unrecht, denn hierbei handelt es sich wirklich um eine tolle Platte die sich nach mehrmaligem Hören erst so richtig entfaltet. Außerdem haben die Doves mit den Song "Pounding" den schönsten Indie-Konsens-Tanzfächenfüller des Jahres 2002 abgeliefert, was sie in Zukunft für noch größere Aufgaben qualifizieren dürfte.